Eine Zeitreise durch den Mikrokosmos der Modellbauer
Eine Jahresproduktion von mehr als 375.000 Fahrzeugen - welcher Autohersteller kann schon mit solchen Zahlen aufwarten? Auch von 1.444.665 Flugzeugen, die 2004 aus dem Hangar rollten, kann die große Konkurrenz nur träumen. Ein mittelständisches Unternehmen in Ostwestfalen vermag sogar noch mehr und lässt zu all dem auch noch 360.000 Schiffe vom Stapel.
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1947 baute Lewis H. Glaser (rechts im Bild) ein maßstabsgetreues Automodell. | Klar, das „Geschäftsgeheimnis" muss in der Größe liegen. Die meisten Fahrzeuge passen in eine Zigarrenkiste, bei wenigen Fliegern reicht die Flügelspannweite über die Breite eines Regalbrettes hinaus und die Schiffe könnten (theoretisch) auch in der Badewanne schwimmen. Und doch ist der Mikrokosmos des weltweit erfolgreichsten Plastikmodellbau-Unternehmens ein genaues Spiegelbild des großen Originals: Detailtreue und Präzisionsverliebtheit zeichnen die Produkte der Revell GmbH & Co KG in Bünde aus, die 2006 ihr 50-jähriges Firmenbestehen feiert.
Die große weite Welt „en miniature" wiederzugeben - darin lag schon immer ein besonderer Reiz nicht nur für Spielzeugerfinder. Die 1947 entwickelte Idee des amerikanischen Konstrukteurs Lewis H. Glaser, aus mehreren Kunststoffteilen ein maßstabsgetreues Auto zusammenzubauen, traf den Nerv der technikbegeisterten Zeit wie kaum eine andere.
Zu Beginn der fünfziger Jahre gingen die ersten Bausätze in Serie und mit der 1956 erfolgten Gründung von Revell im westfälischen Bünde traten die Modellbausätze ihren Siegeszug auch in Europa an.
Original vom Original Das Schlachtschiff „Bismarck" gehörte zu den ersten Modellen, die in Bünde vom Band liefen und das Freizeitverhalten einer ganzen Kindergeneration revolutionieren sollten. Welcher jung gebliebene 50-Jährige kann sich daran nicht erinnern? Die kleine Schachtel unterm Weihnachtsbaum, die unzähligen, in Cellophan verpackten Einzelteile, die detaillierten Konstruktionspläne, die winzigen Farbtöpfchen, ebenso winzige Pinsel und Klebertübchen und ganze Nachmittage intensiver Bastelarbeit.Historische Dampflokomotiven, die legendäre Titanic - übrigens der erfolgreichste Modellbausatz weltweit - und farbenfrohe Doppeldecker im Maßstab 1:28 sind seit Generationen ein Hingucker nicht nur in Sammlervitrinen; die Leidenschaft für die Minimodelle ist auch 50 Jahre nach der Entwicklung der ersten Bausätze höchst lebendig. Gespielt wird halt seit Menschengedenken und getüftelt und gebastelt auch. Und das mit viel Liebe und Hingabe. Sei es an der pfeilschnellen Concorde im Maßstab 1:144, dem roten Ferrari von Michael Schumacher oder der legendären MV Augusta von Giacomo Agostini. Bausätze wie diese überstehen nicht nur Kinder- und Jugendjahre, auch gestandenen Vätern und Großvätern kommen die Päckchen mit dem blau-gelben Schriftzug der Firma Revell in den Sinn, wenn sie nach einem gemeinsamen Freizeitvergnügen mit Sohn oder Enkel suchen.
Dabei erfindet Revell das Rad nicht etwa neu, das Unternehmen empfindet Originale nach. Das allerdings mit Gespür für die sich wandelnden Wünsche der Hobby- und Profibastler. Immer wieder bringen die Bünder Modelle auf den Markt, die im Original noch gar nicht erhältlich sind oder aber schon längst nicht mehr gebaut werden und deshalb Seltenheitswert besitzen.
Die „Grumman F-14A Tomcat" , der „Stealth-Fighter" und das längst Kult gewordene Käfer-Cabriolet sind nicht nur Militärexperten und Automobilfans ein Begriff; bei Revell gehören sie ebenso wie die „U.S.S. Enterprise" und das „Geisterschiff mit Nachtleuchtfarbe" zu den Top-10-Modellen der Firmengeschichte.
„Build your dream"
Miniaturliebhaber aber sind keine Minimalisten; sie haben einen hohen Anspruch. „So gut wie die Originale müssen unsere Bausätze schon sein", meint Ullrich Taubert, der Leiter der Produktentwicklung bei Revell . Keiner der flotten Minis soll mit 200 Sachen durchs Kinderzimmer flitzen, Ansprüchen von Anfängern aber müssen sie ebenso genügen wie denen der Könner. „Build your dream" -„bau dir deinen Traum", mit diesem Slogan will die Revell GmbH & Co KG sowohl passionierte als auch Gelegenheitsbastler ansprechen.
Mit alters- und erfahrungsgerechten Schwierigkeitsstufen kommt das Unternehmen den Wunschträumen seiner Kunden entgegen und verspricht auch ungeübten Konstrukteuren Spaß an filigraner Feinarbeit - „einfach checken, stecken, spielen", so beispielsweise wird die Produktlinie easykit beworben. Modellbau ist kein Hobby „von gestern", ist man bei Revell überzeugt, wohl aber komme es auf das Thema an und das, was gerade „in" ist. Mit Modellen zur Apollo-Mondlandung, den Atlantis-Raumfähren der Amerikaner und der russischen Raumstation MIR war und ist das Unternehmen auf der Höhe der Zeit - und spätestens mit dem Erwerb der „Star Wars" -Lizenzen und dem „Sternzerstörer" im Weltraum genauso zuhause wie auf den sieben Weltmeeren.
Modellbau macht Schule In einer reizüberfluteten Gesellschaft wie der unseren muss Bastelarbeit aber nicht auf das Kinderzimmer beschränkt bleiben. Zunehmend macht Modellbau auch im Klassenzimmer Schule - als Trainingsfeld für Konzentration, Geschicklichkeit und Sorgfalt bei der Arbeit. Seit Jahren schon unterstützen Hersteller wie Revell deshalb Pädagogen bei der Gestaltung von Projektwochen. „Trainiert" und an den Modellbau herangeführt wird der Nachwuchs zudem in dutzenden deutscher Modellbauclubs, bei Ausstellungen und Spielemessen.
Wunschträume im Kleinformat Warum gerade vom Modellbau auch ein halbes Jahrhundert nach seiner Geburtsstunde noch immer eine solche Faszination ausgeht, liegt auf der Hand. Er steht für eine Welt, in der Träume wahr werden. Sich auf die Spuren von Christoph Kolumbus zu begeben, am Steuer eines Weltmeister-Autos zu sitzen, in die unendlichen Weiten des Weltalls vorzudringen - all das geht eben auch im heimischen Bastelkeller. Ohne dabei gleich Millionen investieren zu müssen: Luxusautos fährt man eben nicht, die baut man. |