Aus dem Kölner Stadt Anzeiger vom 6. Dezember 2003

Deutsche Brettspiele für den US-Markt

von Thomas Magenheim


Qualitätsprodukte aus Deutschland genießen international immer noch einen guten Ruf. An Gesellschaftsspiele denkt dabei aber kaum jemand. Dessen ungeachtet haben sich gerade in der Vorweihnachtszeit gefragte Karten- und Brettspiele deutscher Verlage in den vergangenen Jahren vor allem in den USA eine Nische erobert. Unter dem Schlagwort „german type games“ sind auf Erwachsene zugeschnittene Brettspiele deutscher Art jenseits heimischer Grenzen zum Qualitätsbegriff geworden, weiß der Vorsitzende der industrienahen Fachgruppe Spiel, Ernst Pohle.

Noch vor 15 Jahren seien deutsche Spieleredakteure im Ausland auf Ideensuche gewesen, sagt der Experte, der zugleich Spieleverlagsleiter beim Stuttgarter Kosmos-Verlag ist. Heute kämen Einkäufer aus den USA oder den Niederlanden nach Deutschland, um Spielelizenzen zu erstehen. Die Verhältnisse hätten sich umgekehrt. „Wir sind die neuen Ideenfabriken“, lobt Pohle die heimische Branche, die jährlich rund 300 Millionen Euro umsetzt.

Das Auslandsgeschäft wird angesichts der Wertschätzung der in Deutschland erdachten Ware zu einem bedeutenden Zubrot. Eigene Statistiken dafür gibt es nicht. Bei einzelnen Verlagen machen Lieferungen über die Landesgrenzen aber gut ein Drittel des Absatzes aus. Das gilt beispielsweise für die Düsseldorfer Winning Moves GmbH, bestätigt deren Geschäftsführer Michel Matschoss. Winning Moves bringe als Tochter eines US-Verlags seit einigen Jahren „german type games“ auf den deutschen Markt und exportiere diese außerdem zunehmend in die USA. Deutsche Spiele seien weltweit die anspruchsvollsten, erklärt Matschoss den neuen Weg der Lieferströme. Echte Spieler wollten nicht nur würfeln, wie das bei der Massenware großer US-Hersteller der Fall sei.

Nach deren Philosophie gilt ein Spiel unter Absatzgesichtspunkten als schlecht, wenn es zu viel Spaß macht und oft gespielt wird, sagen Branchenkenner. Denn dann fehlten Kaufanreize für Neuheiten. In diese Qualitätslücke stoßen verstärkt deutsche Ideenschmieden wie die Münchner Hans im Glück-Verlags GmbH. Der zusätzliche Absatz im Ausland erlaube eine doppelt so hohe Startauflage, betont deren Eigner Bernd Brunnhofer. Das schaffe Kostenvorteile und bringe sinkende Preise, was dem heimischen Stammpublikum zugute komme. Der Münchner Kleinverlag gilt als besonders prägend für die Szene. Bereits viermal hat er den deutschen Kritikerpreis „Spiel des Jahres“ errungen. Nur Branchenführer Ravensburger schaffte mit sechs derartigen Auszeichnungen (zum Beispiel für „Hase & Igel“, „Sagaland“ „Scotland Yard“ und „Tikal“) mehr. „Deutschland hat eine weltweit einzigartige Spielelandschaft, die andere Länder neidvoll betrachten“, fasst Pohle den Status der Branche zusammen. Ob sich das 2003 in den Inlandsumsätzen niederschlägt, ist noch offen, weil das vierte Quartal mit einem Absatzanteil von 70 Prozent traditionell entscheidend ist. Wegen ihrer hohen Innovationskraft ist die Branche aber optimistisch.

Immerhin wurde etwa die Spielefamilie „Die Siedler von Catan“ (Verlag Kosmos) seit 1995 im deutschsprachigen Raum über sieben Millionen Mal verkauft und erlebt nun eine Neuauflage. „Carcassonne“ (Hans im Glück), das es seit 2001 gibt, fand hierzulande bereits 600 000 Käufer. Normalerweise gelten Spiele mit einer verkauften Auflage von 25 000 Stück als erfolgreich. Das selten erreichte Ideal der Spieleautoren ist es, ohne lange Regeln auszukommen und dennoch anspruchsvoll zu bleiben, was bei „Clans“ (Winning Moves) fast perfekt gelingt. Hier werden bis zu vier Spieler in die Urzeit zurückversetzt. Mit scheinbar simplen Zügen versetzen sie Hütten auf den Landschaftsfeldern eines Spielplans und gründen dadurch die ersten Dörfer der Menschheit. Weil das Punkte bringt und jeder seine Hüttenfarbe geheim hält, entsteht mit wenig Aufwand für eine halbe Stunde viel Spannung. Ähnliches gilt für „Attika“ (Hans im Glück), wo ebenfalls bis zu vier Kontrahenten das antike Griechenland wieder auferstehen lassen. Wer hier seine Zivilisation in Form bedruckter Plättchen am schnellsten auf dem variablen Spielfeld platziert oder zwei Heiligtümer miteinander verbindet, hat gewonnen. Trotz einfachem Mechanismus - Plättchen ziehen, Plättchen legen - bietet das Spiel während einer knappen Stunde viele Möglichkeiten zur Entfaltung.