Ob Brettspiel, Puzzle oder Action-Figur: Retro-Brands dominieren die Spielwarenbranche allenthalben. Fehlt es den modernen Kreativ-Abteilungen an konkurrenzfähigen Ideen? Oder woher sollte die Nostalgiewelle im Toy-Sektor sonst rühren?
Welche IPs haben Ihre Herzen als Kind höherschlagen lassen? Von welchen Spielzeugen, Fernsehserien und Franchises konnten Sie damals einfach nicht genug kriegen. Jede Wette: Die allermeisten von Ihnen können diese Frage binnen weniger Sekunden beantworten. Bei mir waren es der Reihe nach Masters of the Universe (auch bekannt als He-Man), Ghostbusters und Teenage Mutant Ninja Turtles (auch bekannt als Teenage Mutant Hero Turtles).
Außer der Tatsache, dass sie nacheinander mein Kinderzimmer füllten, haben diese IPs noch eine weitere Gemeinsamkeit. Alle drei wurden in den vergangenen Jahren mit diversen Neuinterpretationen und Sequels ins Kino oder auf den Streamingdienst gebracht. Begleitend dazu lief die Merchandise-Maschinerie jeweils immer auf Hochtouren. Diverse Toy-Serien sind erschienen, wahlweise begleitend zu einem Bewegtbild-Release oder völlig unabhängig davon.

Retro-Brands dominieren den Weltmarkt
Dass ausgerechnet diese drei Herzens-IPs einen derart langen Atem beziehungsweise solch starke Comeback-Qualitäten aufweisen, ist weder Zufall, noch beweist es einen außergewöhnlich guten Geschmack des Autors. Vielmehr lässt es sich schlicht und einfach auf die Kombination aus Geschlecht und dem Geburtsjahr 1984 zurückführen. Wäre der erste Faktor nicht männlich sondern weiblich, so würden mit Sicherheit Brands wie Barbie oder My Little Pony hoch im Kurs stehen. Wäre hingegen das Geburtsjahr früher, könnte Star Wars noch mehr gepunktet haben, als es ohnehin schon tut. Wäre die Geburt später eingetreten, so würde eventuell Pokemon das Rennen machen.
Was fällt auf? All diese Marken sind auch heute ganz vorn dabei, was den nationalen und internationalen Spielwarenmarkt betrifft. Die Liste ließe sich noch endlos fortführen und die Erkenntnis liegt klar auf der Hand: Retro ist voll im Trend. Ein Blick auf den Jahresbericht 2023 zum Spielwarenmarkt aus der Hand des Marktforschers Brandirectory offenbart, dass die zehn wichtigsten Spielwaren-Marken des Jahres allesamt aus dem vorherigen Jahrtausend stammen beziehungsweise – im Falle von Lego, Funko Pop und Hasbro – ihre Nuggets in Lizenzrechten zu Retro-IPs haben.

Woher kommt diese Nostalgie-Welle? Dass das letzte Drittel des vorigen Jahrhunderts von einem kreativen Ideen-Reichtum geprägt war, der möglicherweise in den ersten post-millennialen Dekaden so nicht mehr vorlag, soll an dieser Stelle nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Ein Großteil der Begründung ist aber wohl vielmehr soziologischer Natur.
Kidults treffen Kaufentscheidungen
Denn das Kofferwort „Kidult“ mag zwar bereits in den 1960er Jahren in gewissen Kontexten benutzt worden sein, hat jedoch erst im aktuellen Jahrhundert die absolute Priorität im Marketing der Spielwaren-Industrie erhalten. Die aktuelle Elterngeneration rekrutiert sich im wesentlichen aus Generation X und Generation Y und sie ist die erste, die mit großer gesellschaftlicher Akzeptanz Kidult sein darf. Ob ein Junggeselle sich die Wohnung mit Funko Pops dekoriert und von seinem Bekanntenkreis liebevoll „Nerd“ genannt wird oder ein Familienvater, aufgeladen mit nostalgischem Dopamin mit seinem Nachwuchs den neuen Kinofilm aus dem Marvel-, Transformers- oder Star-Wars-Universum ansieht. Niemand wird angesichts dessen mehr die Nase rümpfen.
Das hätte bei der Baby-Boomer-Generation noch anders ausgesehen. Aufgewachsen in der wirtschaftlich limitierten Nachkriegszeit waren die Erwartungen, wie sich junge Frauen und Männer zu verhalten hätten, doch deutlich andere. Die aktuelle Elterngeneration hingegen hat den Großteil Jugend in der scheinbar politisch entspannten Atmosphäre der 1990er-Jahre verbracht. 9/11, Finanzkrise und wieder aufflammende militärische Konflikte haben dieses Weltbild im neuen Jahrtausend bröckeln lassen.
So entstand eine bislang einzigartige Gemengelage: Die wesentlichen Kaufentscheidungen werden von einer Zielgruppe getroffen, die sich gern an die vermeintlich „besseren Zeiten“ der eigenen Jugend erinnert. Jedoch ist sie – trotz Rezession – genau jetzt noch solvent genug, jede Toyline zu komplettieren und zur Not auch dreistellige Beträge zu investieren, um einen Bausatz Klemmbausteine unter den Weihnachtsbaum zu legen. Wen sollte angesichts dessen also der hohe Stellenwert diverser Brands aus dem 19. Jahrhundert überraschen?
Titelbild: Mattel
