Die Konkurrenz durch fernöstliche Billigprodukte ist für die europäische Spielwaren-Industrie ein Dauerthema. Seit gut 20 Jahren spürt man den Druck, den die Tiefstpreise vor allem aus China verursachen. Ein Vorstoß des Europaparlaments hatte zuletzt Bewegung in die Sache gebracht. Doch nicht alles kann von der Politik geregelt werden.
Wir sind noch mittendrin. Der Wahlkampf zur Europawahl 2024 befindet sich im Endspurt. Sobald das neue Parlament steht, wird sich deutlicher abzeichnen, wie es weitergeht in der Diskussion um die Qualitätsstandards von in Europa gehandelten Spielwaren. Zur Erinnerung: Mitte März hatte das „alte“ Parlament in erster Lesung mit überwältigender Mehrheit für ein Maßnahmenpaket gestimmt, das jedoch den deutschen und europäischen Branchenverbänden teilweise nicht weit genug bzw. in die falsche Richtung ging. An dem Entwurf dürfte also noch kräftig geschliffen werden.
Dass die Politik überhaupt mit solcher Entschlossenheit gegen mindere Qualität im Spielwaren-Sektor vorgeht, dürfte auch mit den Ergebnissen eines großen Testkaufs des europäischen Spitzenverbands Toy Industries of Europe (TIE) zu tun haben. Danach waren 95 Prozent der Produkte, die man über die berüchtigte Plattform TEMU erworben hatte, teilweise stark gesundheitsgefährdend. Scharfe Kanten hier, verschluckbare Einzelteile dort. Auch beim Thema Datenschutz in Verbindung mit computerunterstützen Spielzeugen gibt es extremen Nachholbedarf.
Der Online-Marktplatz TEMU (der hier als Schwergewicht stellvertretend für unzählige ähnlich gestaltete Billigshops steht) geriet besonders bei den elektronischen Waren in die Kritik, da diese teilweise keine oder gar gefälschte CE-Kennzeichnungen aufwiesen. Ein wichtiger Faktor in der angesprochenen politischen Agenda wird immer wieder die Frage sein, wie die Politik umsetzen kann, dass bei den Qualitätsstandards das Absatz- und nicht das Produktionsland ausschlaggebend ist.
Cornelia Becker vom Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) stellt klar: „Bei einem Online-Kauf mit Versand nach Europa zählt die Rechtslage des Absatzlandes bzw. der EU, unabhängig vom Standort der versendeten Plattform. Ein Produkt, das den DIN-Normen und den weiteren Regularien nicht entspricht, darf also von Rechts wegen hierzulande nicht verkauft werden.“ Doch kann dies oftmals nicht durchgesetzt werden, da der Zoll aus Kapazitätsgründen Importe erst ab einem gewissen Mindestwert kontrollieren kann. Dieser wird angesichts der verlockenden Niedrigpreise in der Regel nicht erreicht.
Exportweltmeister mit steigender Innovationskraft?
Denn freilich: Geringere Qualitätsstandards bedeuten geringere Produktionskosten bedeuten einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil. Schaut man sich die Entwicklung der größten Volkswirtschaften der Welt an, so fällt auf, dass China unaufhaltsam auf dem Vormarsch war, seitdem das Land im Dezember 2001 der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten ist. In der Zeit seitdem spielten sich binnen weniger Jahre Dynamiken ab, die zuvor Dekaden gedauert hatten. 2013 wurde die Volksrepublik erstmals seit 123 Jahren wieder zur größten Wirtschaftsmacht der Erde.
Dies stützte sich in erster Linie auf Exporte. Denn genau zur gleichen Zeit nahm China auch in dieser Statistik enorm an Fahrt auf, nachdem das bevölkerungsreichste Land der Welt bei den exportierten Gütern und Dienstleistungen über Jahrzehnte keine Spitzenposition belegt hatte. Und so wurde die USA ebenfalls 2013 auch als „Exportweltmeister“ abgelöst.
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Bei all dem wirtschaftlichen Erfolg meldeten sich seither diverse Kritiker, Skeptiker und Mahner zu Wort. Dem häufig gehörten Vorwurf, die Industrie stütze sich in erster Linie auf das Copycat-Prinzip halten andere eine Statistik entgegen. Im Welt-Innovationsindex ist das Land nämlich seit vielen Jahren auf dem Vormarsch. Bereits 2017 hatte China die Top 25 betreten und ist 2023 sogar auf Platz 12 gelandet.
In geheimer Mission auf der Spielzeugmesse?
Dieses globale Ranking wird jedoch branchenübergreifend erstellt und spiegelt nicht unbedingt die subjektive Wahrnehmung wider. In der Spielwarenbranche ist der Eindruck oft ein anderer. So fühlt man sich bei den Schilderungen des einen oder anderen Brancheninsiders teilweise in einen Spionagethriller versetzt. Fernöstliche Plagiate seien aufgetaucht, nur wenige Wochen, nachdem entsprechende Prototypen auf der Spielzeugmesse vorgestellt wurden. So mancher europäische Hersteller hat bereits das eigene Messekonzept entsprechend angepasst und präsentiert Innovationen nur noch vor einem ausgewählten Personenkreis.
Die Flut an Copycats nimmt teilweise enorme Ausmaße an und zieht in den Lizenz- und Rechtsabteilungen der europäischen Spielwaren-Hersteller massiv Kapazitäten. Problem ist oftmals, dass der vermeintliche Plagiator schwer ausfindig zu machen ist. TEMU und all die URLs in TEMUs Fahrwasser sind lediglich Marktplätze. Doch ein typischer TEMU-Eintrag gibt den Hersteller nicht preis. Wer also eine Copycat eines eigenen Produktes hier findet und dies geltend machen will, für den beginnt an dieser Stelle ein langwieriges und häufig erschöpfendes Detektivspiel. Konstruktiv mitarbeitende Ansprechpartner sind die Ausnahme. Häufig antworten Bots – wenn überhaupt.
Nach Einschätzung der Branchenvertreterin gehen die Erfolgschancen gen Null. „Plagiate zu verfolgen, ist in der Regel vergebliche Liebesmüh“, sagt Cornelia Becker vom DVSI. „An den wirklichen Hersteller kommen die Kläger normalerweise nicht ran. Auf den einschlägigen Marktplätzen bleibt die Herkunft nebulös.“
Verwirrte Konsumenten und verwässerte Märkte
Schließlich muss nochmal betont werden, dass TEMU zwar der Gigant auf dem Markt ist, jedoch tausende kleine Fische in seinem Fahrwasser schwimmen. Diverse Online-Marktplätze sind mal mehr, mal weniger seriös bis hin zum kompletten Fake-Shop.
Auch im Modesektor lassen sich Paradebeispiele finden, wie Konsumenten verwirrt und Billigware in den Markt gespült wird. Da wirbt ein Shop mit „echter deutscher Mode“ und neben der alpin gewählten Domain ist die Seite auch entsprechend so gestaltet, dass sich die gesuchte Klientel angesprochen fühlt. Betreiber sind „Emma und Alexander“, die sich angeblich im Auslandssemester kennengelernt haben. Allerdings taucht keiner dieser Vornamen im Impressum auf. Stattdessen eine niederländische Adresse, während der Shop laut dem Fakeshopfinder der Verbraucherzentrale in Kanada gehostet wird. Die Ware hingegen stammt aus China. Diese Schablone lässt sich auf tausende Onlinehändler legen.
Aufklärung der Endverbraucher ist unerlässlich
Wo ist der Ausweg? Zu hoffen, dass der Kunde eines Tages von allein umdenkt, erscheint unrealistisch – prasseln auf diesen doch bei der Nutzung jegliches internetfähigen Endgeräts immer neue verlockende Angebote zu Tiefstpreisen ein. Und der Algorithmus kennt längst die Vorlieben eines jeden und einer jeder.
Vielmehr müssen Industrie und Politik gemeinsam aktiv werden, und die Kunden adressieren, findet Branchen-Expertin Cornelia Becker: „Ein wichtiger Faktor wäre die Aufklärung der Endverbraucher. Hier ist die Branche ebenso wie die Politik gefragt. Insbesondere im Zuge der Europawahl könnten Informations-Kampagnen, zum Beispiel über Social Media, eine große Wirkung erzielen“.
Insbesondere im Spielwarensektor sollte man auch den stationären Einzelhandel nicht unterschätzen. Gut sortierte Häuser sind vor allem im ländlichen Raum nach wie vor stark frequentierte Anlaufpunkte. Kompetente Beratung, attraktive Points of Sale und besondere Angebote wie individuelle Geburtstagsboxen ziehen die Haushaltsvorstände in zeitloser Manier an. Hier kann eine qualitative Vorauswahl stattfinden, die vom Verbraucher geschätzt wird. Und hier kann die aktive heimische Branche Einfluss nehmen und ihre Überlegenheit gegenüber anonymer Billigware bestmöglich ausspielen.