Krise, Kaufkraftminderung & weniger Kinder - Trendreport des BDKH
Welche Entwicklungen und Innovationen gibt es in der Branche? Wie verändert sich der Markt der Kinderausstattung? Und wo kaufen Eltern heute ein? Der Trendreport des Bundesverbands Deutscher Kinderausstattungs-Hersteller e. V. (BDKH) liefert einen Überblick zu den wichtigsten Fragen.
Die Nachrichten für die Kinderausstattungs-Branche sind nicht immer gut in diesen Tagen. Eine betrifft die Geburtenrate als wichtige Kennziffer für die Hersteller: Nie zuvor stürzte sie in Deutschland so rapide ab wie im vergangenen Jahr. Nach dem Pandemie-bedingten Geburtenhöchststand von 2021 kamen 2022 mit 738.819 Kindern mehr als sieben Prozent weniger Babys auf die Welt. Der fehlende Umsatz bei der umfangreichen Erstausstattung macht den Herstellern von Kinderwagen, Babyschalen & Co. deutlich zu schaffen. Möglicherweise spielte 2022 bei jungen Paaren die Zurückstellung des Kinderwunsches zugunsten der Corona-Impfung eine Rolle, da diese für Schwangere zunächst nicht empfohlen worden war. Hinzu kam, dass im vergangenen Jahr eine große Krise unmittelbar von der nächsten abgelöst wurde: Die Furcht vor der Pandemie wandelte sich nach dem Angriff auf die Ukraine in Angst vor einem Krieg in Europa.

Wirtschaftlich schwierige Zeiten
Die Zeiten für junge Familien und solche, die es werden wollen, sind nach wie vor unsicher. Wie zu erwarten, begann auch das Jahr 2023 mit geringen Geburtenzahlen. Der Angriffskrieg führte zu enormen Preissteigerungen, einer hohen Inflation und die deutsche Wirtschaft in eine Rezession. Das Realeinkommen und damit die Kaufkraft der Deutschen sank wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Entscheidung für ein Kind und den (zeitweisen) Verzicht auf ein zweites Einkommen muss man sich jedoch auch finanziell leisten können.
Ein Kind kostet nach aktuellen Berechnungen monatlich etwa 630 Euro – bis zum 18. Lebensjahr sind das rund 136.000 Euro. Dass viele Mütter und Väter das nicht mehr stemmen können, zeigen die Fakten: Mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland sind armutsgefährdet. Besonders betroffen sind die rund 1,3 Millionen Familien mit mehr als zwei Kindern. Fast ein Drittel von ihnen gilt als einkommensarm. Ein Grund dafür ist auch die nach wie vor bestehende strukturelle Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Familienpolitik in Deutschland bietet nach Ansicht des BDKH in der aktuell wirtschaftlich schwierigen Phase keine stabilen Rahmenbedingungen. Kinder und ihre Eltern stehen auf der Prioritätenliste der Politik trotz vieler schöner Worte nach wie vor weit hinten.

Second Hand und Mietplattformen sind beliebt
Der hohe Preisdruck und die verminderte Kaufkraft lassen junge Eltern immer häufiger auf den Second Hand-Markt ausweichen. Miet-Plattformen, die es mittlerweile auch für Kinderausstattung wie Kinderwagen, Babytragen oder Kinderräder gibt, sind ebenfalls zur Option geworden. Auch einige Hersteller bieten ihre Produkte wahlweise als Kauf- oder Mietmodell an. Sie müssen vor dem Hintergrund gestiegener Rohstoff- und Herstellungskosten, wegbrechender Märkte und der allgemeinen Kaufzurückhaltung kreativ werden, um ihre Umsätze zu erreichen. Im ersten Halbjahr 2023 stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen bundesweit um 16,2 Prozent an, darunter auch einst so hoch bewertete Händler wie windeln.de oder die in der dritten Generation geführte Kinderwagenfabrik Hesba aus Oberfranken, das ein Sanierungsverfahren einleitete.
Trotz Hinwendung zu Mietplattformen und Second Hand-Märkten gibt das familiäre Umfeld pro Kind im Schnitt von Jahr zu Jahr mehr Geld aus: In Deutschland waren das 2022 rund 7,65 Milliarden Euro – 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Etwa die Hälfte fällt dabei auf Bekleidung und Schuhe, allein zwei Milliarden Euro gehen in die Erstausstattung der Kleinen bis zum zweiten Lebensjahr. Im Vergleich zur generellen Entwicklung des Konsums und des Einzelhandels hat sich die Baby- und Kinderausstattung allerdings in den vergangenen Jahren unterdurchschnittlich entwickelt.

Die Jungen nutzen Social Commerce
Gerade junge Mütter und Väter wollen ein nahtloses Einkaufserlebnis über alle Kanäle hinweg – ob stationär, zuhause am PC oder unterwegs über das Smartphone. Dabei informieren sie sich vor einem Einkauf vor Ort immer häufiger zunächst im Internet. Vor allem 16- bis 29-Jährige lassen sich auch über Social Media-Plattformen wie Instagram und YouTube inspirieren – und nutzen dann gern die neuen Shoppingfunktionen. Unternehmen stehen hier durch Kommentare, Likes, private Nachrichten oder via Live Shopping vermehrt in direktem Kontakt mit ihrer Zielgruppe.
Künstliche Intelligenz (KI) wird im Handel bereits eingesetzt, um Kaufwahrscheinlichkeiten zu berechnen und gezielte Produktempfehlungen auszuspielen. Beliebt bei jungen Käufern sind zudem AR/Augmented Reality-Darstellungen, die viele Informationen liefern oder Produkte „greifbar“ machen. „Den Wunsch, die Integration von Produktinformation schneller zwischen Marke und Händler abzuwickeln, sehe ich als einen der kommenden Trends unserer Branche. Der Aufwand, um Produkttexte, Bilder, Videos und zunehmend auch 3D & AR-Inhalte zu integrieren, frisst wichtige Zeitressourcen bei Marke und Handel“, sagt Stefan Eipeltauer, Inhaber von ARkid & FOKUS KIND Medien. „Die Branche wird hier im Sinne der Effizienz auf neue Industriestandards und Schnittstellen setzen müssen. Mit unserer Software AR Catalogue lösen wir dieses Problem, vor allem für den innovativen Bereich von 3D & AR im Online-Shop und am POS. Marken stellen ihre 3D Modelle ein und Händler können diese so einfach wie ein YouTube-Video einsetzen.“
Brandneue Features bei Autokindersitzen
Produktinnovationen bei der Kinderausstattung werden über das ganze Jahr hinweg und nicht mehr ausschließlich zur Kölner Fachmesse Kind + Jugend im September vorgestellt. Echte Neuheiten gibt es vor allem im technisch anspruchsvollem Segment der Autokindersitze. Hier stellte Nuna im Frühjahr die weltweit erste Babyschale mit integriertem Isofix-System vor. Das nur 3,3 kg leichte Modell PIPA urbn erlaubt eine sekundenschnelle Installation im Fahrzeug der Wahl und dies ganz ohne eine Basisstation. Damit eröffnen sich den Eltern ganz neue Möglichkeiten der Mobilität, zumal die Babyschale für alle drei Installationsmöglichkeiten (Isofix, Fahrzeuggurt oder Isofix und Fahrzeuggurt) nach der neuesten Sicherheitsnorm ECE R129/03 zugelassen ist und sich auch auf den Kinderwagen setzen lässt.
Auch die Traditionsmarke Maxi-Cosi präsentierte dieses Jahr ein weltweit neues Feature für die i-Size-Modelle 360 Pro Family. Mit der SlideTech-Technologie der FamilyFix 360 Basisstation lassen sich Babyschale und Autokindersitz aus dem Auto herausziehen, was das Hineinsetzen und Herausnehmen des Kindes erleichtert und dabei den Rücken des Erwachsenen schont. Mit dem 360°-Rotationssystem FlexiSpin der Basis können die Kindersitze mit nur einer Hand in die gewünschte Stellung gedreht werden. Babyschale und Sitz verfügen über verschiedene Liegepositionen, die den Rücken der Kleinen entlasten. Die 360 Pro Family-Modelle sind deshalb auch mit dem Gütesiegel der Aktion Gesunder Rücken (AGR) ausgezeichnet.

Sportliche Eltern fahren Dreirad
Eine Neuheit auf drei Rädern stellt tfk/Trends for Kids auf der diesjährigen Kind + Jugend vor. Der tfk pro im aerodynamischen Design ist vor allem für sportliche Eltern konzipiert, die Wert auf einwandfreie Qualität und Fahrsicherheit auch bei höheren Geschwindigkeiten legen. Ausgestattet ist das Gefährt u. a. mit einem ergonomischen Schiebegriff, Scheibenbremsen, Luftreifen, einem drehbaren Vorderrad, einer gefederten Vorderradgabel, reflektierenden Einfassungen sowie Halterungen für Trinkflasche und Smartphone. Die Kinder sitzen weich und windgeschützt auf einer Komfortmatratze unter dem wasserabweisenden UV-Schutzverdeck. Wegen des hohen Innovations- und Investitionsgrads bei diesem Modell soll es zunächst eine Sechs-Monats-Preisbindung für den Verkauf geben, kündigt tfk-Inhaber Oliver Beger an.
Nachhaltigkeit ist ein Kaufkriterium
Kinderprodukte sollen nach Ansicht der Eltern vor allem sicher sein. Aber auch Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind für sie wichtige Kaufkriterien und werden nachgefragt. Besonders bei der jungen Gen Z stehen ethisch einwandfreie Prozesse bei produzierenden Unternehmen hoch im Kurs, so wie sie bei Träumeland eingehalten werden. Seit 2020 ist der österreichische Kindermatratzen-Hersteller ein zertifiziertes klimaneutrales Unternehmen – und begreift das nur als ersten Schritt. Träumeland sorgt in der Produktentwicklung dafür, dass Rohstoffreste nicht entsorgt, sondern im Produktionskreislauf bleiben und zur Fertigung neuer wertgeschöpfter Produkte verwendet werden. Modernste Techniken des Upcycling und Recycling werden eingesetzt, um Rohstoffe einzusparen und neue Wertstoffe aus gebrauchten Schaumstoffprodukten zu gewinnen. Auch im Bereich der Produktverpackungen soll Plastik durch Karton oder andere innovative Verpackungsmethoden abgelöst werden. Produziert wird im Werk in Oberösterreich, die nötigen Rohstoffe kommen über kurze Lieferketten aus dem europäischen Raum.

„Der Fokus wird verstärkt auf ‚sauberen‘ Produkten liegen, auf guten und sicheren Materialien, aber auch auf Langlebigkeit, Reparierbarkeit und Qualität für ein ‚Weitervererben‘“, analysiert Jesper Frandsen, Inhaber der Markenagentur Tradewell, die sich vor allem auf skandinavische Kinderprodukte spezialisiert hat, den Trend zur Nachhaltigkeit. „Was für den Großteil der Kundinnen und Kunden aber trotz allem wichtigstes Kaufargument bleibt, ist der Preis. Der muss auch bei einem nachhaltigen Produkt stimmen.“
Zero Waste Vision im Bereich Kunststoff
Mit der Bio-Badelinie TOP hat Rotho Babydesign bereits vor Jahren deutlich gemacht, dass Nachhaltigkeit Handeln im Einklang mit Wirtschaftlichkeit und ökologischer Verantwortung bedeutet. Dieses Jahr beginnt auf der Kind + Jugend mit der ersten TOP Badewanne aus recyceltem Kunststoff ein neues Kapitel. Nachhaltigkeit ist eine der wesentlichen Säulen der Firmenstrategie der Rotho Gruppe, auf deren Basis die „Zero Waste Vision“ definiert wird: Bis 2030 sollen für die gesamte Produktion recycelte und umweltneutrale Kunststoffe zum Einsatz kommen, die nach Gebrauch zu 100 % recycelt werden können. Die Babybadewanne aus recyceltem Kunststoffgranulat zeigt keinerlei Farbveränderungen in den Varianten weiß, stone-grey, lagoon, swedish-green und soft rose. Sie ist nach der neuen EU-Norm DIN EN 17072 zertifiziert und im nächsten Jahr zu einem bezahlbaren Preis für junge Familien erhältlich.

Zertifiziertes Umweltmanagement
Erst seit Anfang September ist Alvi als B Corp-Unternehmen zertifiziert. Damit gehört der Hersteller aus Höxter zu rund 60 Unternehmen in Deutschland, die nachweislich strenge Sozial- und Umweltstandards erfüllen, transparent sind und nicht nur die Wünsche der Anteilseigner, sondern die Interessen aller im Blick haben. Über einen langen Zeitraum wurde Alvi dabei in den Bereichen Unternehmensführung, Mitarbeiterrechte sowie Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft und Kunden geprüft. Geschäftsführer Gabriel Zboralski: „Die Zertifizierung ist unser Unternehmensbekenntnis zu gesellschaftlichem Mehrwert und ökologischer Nachhaltigkeit.“
Auch das Unternehmen Lässig aus Babenhausen setzt seit langem konsequent auf die Verbesserung des internen Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagements. Seit vergangenem Jahr wurde ein Umweltmanagement nach DIN EN ISO 14001 eingeführt, dessen Ziel es ist, Umweltauswirkungen durch die eigene Geschäftstätigkeit zu minimieren, Abfall und Emissionen zu reduzieren und Ressourcen zu schonen. Im Sommer wurde die Wirksamkeit des Umweltmanagementsystems durch die Zertifizierungsstelle TÜV Süd bestätigt.
Mobil und komfortabel
Mit der neuen faltbaren Wippe Eazy Relax kommt Béaba vor allem mobilen Eltern entgegen, die unterwegs auf eine kompakte, leicht zu transportierende Liegemöglichkeit ab der Geburt ihres Babys setzen und sie zuhause leicht verstauen wollen. Die moderne Babywippe verfügt über drei Neigungspositionen, einen 5-Punkt-Gurt und kann später auch in einen Sitz umgewandelt werden. Flach zusammengeklappt ist die Eazy Relax nur 4,6 Zentimeter hoch und in der mitgelieferten Tragetasche überall mit dabei, um das Baby darin sicher und hygienisch unbedenklich abzulegen.
Besonders praktisch und designstark sind die Produkte der Marke Elvie von Chiaro, dem jüngsten Mitgliedsunternehmen des BDKH. Die kleine akkubetriebene und leise Milchpumpe kommt komplett ohne Kabel aus und lässt sich ganz einfach in den Still-BH stecken. Dazu passt Catch, der geniale Auffangbehälter für die Muttermilch. Preisgekrönt ist formschöne Silikon-Tracker für Beckenbodenübungen, der über eine App Feedback zum individuellen Übungsverlauf gibt.
Komfortabel und gleichzeitig stylisch sind auch die Travel-Systeme des italienischen Herstellers Peg Perego. Das Set Veloce TC Town & Country umfasst eine i-Size-Babyschale samit Liegefunktion, einen Kinderwagen mit Komfort-Babywanne und einen Aufsatz für ältere Kinder. Wie Stiftung Warentest im jüngsten Kinderwagen-Test feststellte, liegen Kleinkinder in vielen Anbieter-Modellen bereits nach wenigen Monaten in einer zu kurzen oder zu engen Wanne. Nicht so in der geräumigen „Culla Grande“ von Peg Perego, die mit 39 mal 78 Zentimetern Liegefläche punktet. Dazu kommen ein Panoramaverdeck und ein integrierter Tragebügel. Bei der Federung der Reifen können Eltern zwischen der Einstellung „Stadt“ oder „Gelände“ wählen. Peg Perego-Modelle werden zudem in Europa hergestellt.

Authentisch und politisch
Familien im Jahr 2023 sind authentisch und natürlich. Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Kommunikation der Hersteller wider. Lansinoh, Spezialist für Produkte rund um die Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, zeigt Mütter, keine „Models“. Schwangerschaftsstreifen werden in den Bildern nicht verschämt retuschiert. Die Frauen sind selbstbewusst und bilden die Bandbreite der Gesellschaft ab. Das Thema „Wochenbett“ hat zudem endlich die Tabuzone verlassen. Nach Einschätzung von Lansinoh steigt zudem die Zahl der Hersteller, die Produkte dieses Segments anbietet.
Selbstbewusst und politisch aktiv geben sich auch die Hersteller. Der Berliner Concept-Store und Hersteller Kindsgut engagiert sich besonders beim Thema Gender-Klischees und gegen stereotype Farben bei Kinderprodukten. Für Inhaberin Corinna Links ist das ein Herzensthema: „Farben sollten für alle da sein, sind es aber oft nicht. Bestimmte Produkte werden mit stereotypen Farben oder anderen Kennzeichnungen versehen und als ‚typisch für Mädchen‘ bzw. ‚typisch für Jungen‘ vermarktet. Das hat nicht nur einen Einfluss auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern sorgt dafür, dass die Grundsteine für den Gender Pay- und auch Care-Gap bereits im Kinderzimmer gelegt werden. Wir möchten uns dafür einsetzen, gemeinsam mit immer mehr weiteren Unternehmen und Marken den Teufelskreis des Gendermarketings zu durchbrechen – für eine buntere Kindheit und eine gerechtere Welt von morgen.”
