Beschreibung:

Der Traum des Tigers

Joe lebt in seiner eigenen, magischen Welt und versteht nicht, warum er regelmäßig zur Schule gehen soll, oder warum sein Freund ihn zu Mutproben überreden will. Erst als ein Zirkus in die Stadt kommt, lernt Joe Menschen kennen, die ihn und seine Sicht auf die Dinge verstehen.

Der 13-jährige Joe lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Dorf. Seinen Vater kennt er nicht. Er kam einst mit einem Jahrmarkt und zog bald wieder weiter. Die Beziehung zwischen Joe und seiner Mutter ist geprägt von großem Verständnis und Liebe. Für die Bewohner des Ortes ist Joe jedoch ein Außenseiter. Keinen Vater zu haben ist in dieser engen Welt ein Makel und bietet schon Grund genug für Hänseleien. Doch zusätzlich spüren die Gleichaltrigen, dass Joe aus einem anderen Stoff ist als sie. Er lebt in einer Welt voller Fantasie und Magie, in der die Übergänge zwischen Traum und Wirklichkeit fließend sind und geheimnisvolle Verbindungen zwischen Mensch und Tier bestehen. Als ein Zirkus in die Stadt kommt und Joe das Artistenmädchen Corinna kennen lernt, trifft er endlich auf Menschen, die ihn und seine Sicht auf die Dinge verstehen.

Leseprobe
Fast keine Bewegung. Fast kein Geräusch. Nur das Zelttuch, das sich sachte im Wind bewegte. Nur das gedämpfte Dröhnen der Großstadt jenseits des Dorfes, das tausend Meilen weit weg schien.
Es war so friedlich hier in dem sanften blauen Licht. Joe atmete tief ein. Der Duft von trocknender Erde und Gras, von sehr altem Zeltleinen.
"Schön, was?", sagte Corinna.
Er nickte. "Schön."
Hoch droben in der Zeltkuppel sah er die verblassten Überreste einer aufgemalten Sonne, eines silbernen Monds und silberner Sterne. Darunter befanden sich das Trapez, die winzigen Plattformen und, noch weiter unten, das gespannte Fangnetz. Vom Mittelmast baumelte eine Strickleiter.
Sie gingen weiter ins Zelt hinein, stiegen über eine niedrige Holzumrandung ins Sägemehl der Manege. Die ringförmig angeordneten Holztribünen umschlossen sie. Das blaue Licht fiel auf ihre Haut und ließ sie sanft leuchten.
"Ich arbeite da oben", sagte sie. Sie legte den Kopf in den Nacken, guckte hinauf.
"Aber ich bin nicht besonders gut. Wir sind alle nicht besonders gut. Hackenschmidt sagt, das kommt daher, dass wir den Weg verlassen haben und es mit uns zu Ende geht."
Sie drehte sich zu ihm. "Hast du uns gehört, in der Nacht, als wir angekommen sind?" "Ja." "Red weiter", sagte sie. "Ich h-hab von euch geträumt", sagte er. "Was?" Er seufzte. Er roch den Atem, das Fell des Tigers. Er sah sich um, aber da war nichts.
"Erzähl es mir." "Ein Tiger war bei mir", sagte er. Sie lachte auf und drehte sich weg, als sei das, was er da eben gesagt hatte, absurd.
Dann sah sie ihn wieder an. "Wir wussten nicht genau, warum wir hierher gekommen sind", sagte sie. "Aber vielleicht ist es ja deinetwegen, Joe.

Aus der Reihe: Kinderliteratur 8 - 12 Jahre

13 x 20,5 cm