Nachhaltige Produktion in der Spielwarenindustrie – da geht schon viel!

14.3.2025 BRANDORA
Spielwaren
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Wie sich die Spielwarenindustrie mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst, darf ruhig einmal lobend erwähnt werden. Gleichwohl gibt es verschiedene Tatsachen, welche die Transformation weiterhin erschweren. Vorab muss allerdings unbedingt noch einmal auf den letzten themenverwandten Beitrag auf BRANDORA eingegangen werden.

Es muss ja nicht immer gleich der so vielzitierte wie brachiale Adenauer’sche Ausspruch über die am Vortag getätigten Aussagen sein. Aber wer sich auch mal kritisch mit den eigenen Aussagen der Vergangenheit auseinandersetzt, der bricht sich – insbesondere im Journalismus – keinen Zacken aus seiner Krone der Deutungshoheit.

In einem Beitrag von Ende Januar beschrieben wir auf BRANDORA leicht zugespitzt die Beobachtung, dass der ganz große Dialog zur Nachhaltigkeit innerhalb der Lizenzbranche bislang noch auf sich warten lässt. Ein deskriptives und konstruktiv gemeintes Statement, das in so manch fruchtbaren Austausch im Rahmen der Spielwarenmesse in Nürnberg mündete.

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Angst vor „Shitstorm“ ist allgegenwärtig

Dabei wurde uns vor allem zweierlei entgegengehalten. Zum einen wurde bemerkt, dass Nachhaltigkeit in den Lizenz-Büros dieser Welt sehr wohl eine Rolle spiele und zwar keine geringe. Jedoch sei man mittlerweile extrem zurückhaltend mit dem Thema – hat man doch in der Vergangenheit zu oft die Erfahrung eines medialen Donnerwetters gemacht, dass sich zusammenbraute, sobald man mal etwas zu euphorisch kommunizierte.

Offenbar fühlt sich ein Teil der Medienlandschaft schnell provoziert von Pressemitteilungen über Nachhaltigkeitsinitiativen auf industrieller Seite. Man wittert Greenwashing, macht sich unmittelbar auf die Suche nach Widersprüchen. Es wird die ganz große Lupe draufgehalten auf andere Stellen der jeweiligen Unternehmensgruppe, die bei der Nachhaltigkeit noch nicht so weit sind. Die verantwortlichen Marketer, die mit bestem Gewissen und ein bisschen berechtigtem Stolz jenes Nachhaltigkeits-Memorandum abgesendet hatten, werden dann umgehend eine Etage höher zitiert und müssen die schlechte Presse erklären.

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Nachhaltigkeitsmaßnahmen wieder stärker kommunizieren

All das kann nicht im Sinne des Erfinders sein. Auf investigative Weise die vermeintliche Doppelmoral einer milliardenschweren Industrie aufzudecken, mag ein ehrenwerter Vorsatz sein. Aber sollte dies dazu führen, dass große Entertainment-Häuser Hemmungen haben, überhaupt noch Fortschritte in der Nachhaltigkeit zu kommunizieren? Sollte sich die öffentliche Wahrnehmung in Folge dessen denn immer nur auf die Problemfelder konzentrieren? Am Ende bestimmt die Wahrnehmung immer unsere Realität.

Klar ist: In einer Zivilisation, in der die Wertschöpfung auch über das unmittelbar zum Überleben notwendige hinausgehen soll, wird es nie vollständig emissionsfrei zugehen. Das bedeutet aber nicht, dass Einsparungen nicht auch gewürdigt werden können. Vielleicht muss die Medienlandschaft sich hier mal wieder ein Stück bewegen. Wer einen Skandal aufzudecken hat, möge dies in aller Ernsthaftigkeit tun. Doch im kollegialen Zusammenspiel mit der Industrie einen Erfolg zu kommunizieren, ist auch keine Schande. An BRANDORA soll es jedenfalls nicht liegen.

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Spielwarenbranche messbarer als Lizenzbranche

Den zweiten Widerspruch zu unserer These von der Lizenzbranche, die hinsichtlich Nachhaltigkeit noch mehr in die Gänge kommen müsse, hatten wir bereits selbst im entsprechenden Beitrag angedeutet: Die Lizenzbranche ist nur bedingt tatsächlich eine Branche. Denn zum einen ist der Einfluss eines Lizenz-Büros auf die Nachhaltigkeits-Policy des Konzerns in aller Regel begrenzt. Zum anderen verkaufen Lizenzmanager keine physischen Waren sondern geistiges Eigentum.

Fairer und messbarer ist es, ein produzierendes Gewerbe auf seine Nachhaltigkeit zu untersuchen. Eines, wie die Spielwarenindustrie – die ihrerseits oftmals Lizenzmanager beschäftigt. Hier darf man klar und ehrlich bilanzieren: Natürlich ist noch nicht alles Gold, was glänzt. Doch die Branche ist in den zurückliegenden Jahren sichtbar in Bewegung, was Nachhaltigkeit angeht.

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Ein Siegel für nachhaltige Spielwaren-Produktion 

Seit 2020 ist die Fair Toys Organisation (FTO) in ihrer jetzigen Form als Multi-Stakeholder-Initiative aktiv. NGOs, Verbände, Gewerkschaften und Kommunen setzen sich hier gemeinsam mit Unternehmen aus der Industrie für bessere Sozial- und Umweltstandards ein. Die Hersteller unter den FTO-Mitgliedern können das „Fair Toys Siegel“ erlangen. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um ein grünwaschendes Schmuckstück, das man einfach für einen Betrag X erwerben kann. Vielmehr ist auch der Anspruch, den der Verein an die Arbeit mit den Mitgliedern hat, von einem nachhaltigen Gedanken geprägt.

„Uns geht es darum, dass sich die Unternehmen und die Bedingungen in den Lieferketten kontinuierlich verbessern“, sagt Patric Kügel von der FTO. Dafür hat die Organisation ein Stufen-Verfahren entwickelt. „Nach abgeschlossener Mitgliedschaft führen wir zunächst eine Gap-Analyse durch. Wo steht das Unternehmen? Was sind Stärken und Schwächen?“.

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Sicherheitstrainings in Fernost-Fabriken

Neben den FTO-eigenen Standards werden dabei auch Richtlinien wie das deutsche Lieferkettengesetz oder die europäische Richtlinie betrachtet. Anschließend wird das jeweilige Unternehmen individuell durch die FTO betreut und gecoacht. „Besonders KMUs, die oft keine eigenen Nachhaltigkeitsteams haben, profitieren von der engen Zusammenarbeit mit der FTO“, so Kügel. Vorgaben der Organisation werden dann also in Einklang mit den individuellen Zielen des jeweiligen Unternehmens gebracht. Das zentrale Tool zur Überprüfung des Fortschritts ist der auch nach Zertifizierung jährlich erfolgende „Fair Performance Check“. Sämtliche Details hierzu können auf der FTO-Website eingesehen werden. Zentrale Frage dabei ist: Wie agieren die Unternehmen mit ihren Lieferanten?

Die FTO verfolgt dabei einen umfassenden Ansatz. Dies schließt unter anderem auch Sicherheitstrainings in chinesischen und vietnamesischen Fabriken mit ein. Man geht aber auch auf die Themen und Herausforderungen ein, welche die Mitgliedsunternehmen aktuell umtreiben. „Zuletzt gab es eine große Nachfrage zum Thema Nachhaltigkeits-Berichterstattung. Also haben wir in Zusammenarbeit mit Hochschulen in unserer Region ein passendes Webinar aufgesetzt“, fügt Kügel hinzu. Bei der Region handelt es sich übrigens um Nürnberg – und passenderweise ist nicht nur die Kommune sondern auch die Spielwarenmesse Mitglied in der FTO. Im September 2023 wurden die ersten Fair Toys Siegel für soziale und ökologische Verantwortung an die Hersteller Heunec und Plasticant Mobilo vergeben. Man ist zuversichtlich, dass zeitnah auch weitere Mitglieder das Siegel erreichen – doch gut Ding will eben manchmal Weile haben.

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Verbesserungspotential bei transparenten Lieferketten

Wie sehen die Experten der FTO den Status quo der Nachhaltigkeit in der deutschen Spielwarenindustrie? „Schaut man auf einen Vergleichs-Zeitraum von zehn Jahren, dann hat sich wirklich viel getan. Aber es gibt auch noch viel Verbesserungspotential vor allem bei den Themen von sozialer Nachhaltigkeit und transparenten Lieferketten“, bilanziert Kügels Kollege Steffen Kircher. „Unser Ansatz ist ja bewusst so gewählt, dass er nur mit Engagement der Mitgliedsunternehmen umgesetzt werden kann. Diese Arbeitsweise findet in der Branche Beachtung. Wir stehen hierzu auch in Kontakt mit renommierten Unternehmen, die großes Interesse an unserem Ansatz zeigen, aber bisher noch zögern der FTO beizutreten.“

Und zum Zögern beziehungsweise zur Unsicherheit gibt es derzeit eben noch einigen Anlass. Wie entwickelt sich der Markt? Was ist der Mehrwert eines Investments in Nachhaltigkeit? Wie hoch sind eventuelle Umsatzeinbußen? Kommt das Lieferkettengesetz? Kircher fügt hinzu: „Auch beim Thema nachhaltige Materialien, biobasierte Kunststoffe oder plastikfreie Verpackungen ist viel passiert und viele Unternehmen haben sich hier auf den Weg gemacht, alternative Lösungen zu entwickeln“.

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Was macht Brüssel?

Materialseitig gibt es derzeit einen Stolperstein in der Gesetzgebung. In Brüssel soll nämlich die Toy Safety Directive endlich zu einer Regulation geformt werden. Der Prozess zieht sich insgesamt schon über Jahre hin. Nun soll im April der finale Trilog zum Thema Chemie aus EU-Kommission, Parlament und Rat stattfinden.

Die Branche blickt gespannt nach Brüssel in der Hoffnung, dass unter der amtierenden Besetzung nun endlich Klarheit über Grenzwerte und somit auch über die nötigen Verfahren zur Messung geschaffen wird. Erst Ende Februar hat die Europäische Kommission den Vorschlag zur Omnibus-Verordnung veröffentlicht, mit der unter anderem der bürokratische Aufwand in Zusammenhang mit Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), also der Berichtspflicht in der Nachhaltigkeit verringert werden soll.

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Intrinsische Motivation deutscher KMUs wird gelobt

Eine Menge Ungewissheit ist derzeit also im Spiel, die nicht grade ein beschleunigender Faktor für die deutsche Spielwarenindustrie ist. „Die Unsicherheit ist momentan deutlich in der Branche zu spüren“, beobachtet auch Cornelia Becker, die beim Deutschen Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) das Thema Nachhaltigkeit verantwortet. „Die intrinsische Motivation vieler Unternehmen, ihre Lieferketten trotzdem zu überprüfen und Prozesse zu optimieren, ist durchaus zu loben – insbesondere auch von KMUs. Doch das Chaos, was seit langer Zeit aus Brüssel kommt, ist ein klarer Hemmschuh“.

Deutlich wird: Das Thema Nachhaltigkeit in der Spielwarenproduktion bleibt komplex. Die Gesetzgebung ist nur einer von vielen Faktoren – und wird auch nicht durch die Tatsache erleichtert, dass in den meisten Produktionsländern keine Verordnung aus Brüssel gilt. Auch, wenn einige Hersteller ihre Fertigung mittlerweile nach Osteuropa verlagert haben, wird Fernost auch mittelfristig Standort der Wahl bleiben. Zu etabliert sind hier das Kostenniveau, die personellen Ressourcen und mittlerweile auch Infrastruktur und Know-how.

Umso lobenswerter ist die Tatsache, dass deutsche und europäische Hersteller sich nach Kräften mühen, Transparenz über ihre Lieferketten zu etablieren sowie Arbeitsbedingungen und Umweltbelastung zu optimieren. Darüber muss berichtet werden – womit wir wieder beim Anfang dieses Artikels angelangt sind.

Titelbild: FTO

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Der BRANDORA Fachartikel Service ist eine Plattform, die sich auf die Themen der Spielwarenindustrie spezialisiert hat. Einmal im Monat widmet sich die Redaktion der "Spielwaren Insights" einem Leitthema, das intensiv recherchiert und beleuchtet wird. Die Redaktion stellt Fragen und sucht nach Antworten, um ein umfassendes Bild des Themas zu erhalten. Dabei geht es nicht nur um die reinen Fakten, sondern auch um die Meinungen und Ansichten von Experten und Beteiligten in der Branche.

Ziel ist es, einen Dialog innerhalb der Branche zu schaffen und wichtige Themen aufzugreifen, die für die Zukunft der Spielwarenindustrie von Bedeutung sind.

Der BRANDORA Fachartikel Service versteht sich als unabhängige Plattform, die objektiv und kritisch über Themen berichtet und diskutiert. Dabei werden sowohl positive als auch negative Aspekte beleuchtet und hinterfragt.

Ein Bericht von Jan Herzmann

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